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Interview LVZ: "Strategie der letzten Jahre rächt sich"

Sachsens Landtagspräsident Matthias Rößler (64, CDU) geht mit seiner Partei hart ins Gericht: Der Mitte-Links-Kurs insbesondere der Bundes-CDU räche sich nun – und habe die AfD im Osten zusammen mit der Flüchtlingszuwanderung im Herbst 2015 erst stark gemacht. Die Union habe die rechte demokratische Flanke sowie Themen wie deutsche Leitkultur und Patriotismus vernachlässigt, kritisiert der als Wertkonservativer bekannte Rößler im LVZ-Interview.

Nach Lage der Dinge zeichnet sich ab, dass Sie sich demnächst aus dem Landtag verabschieden müssen. Gibt es einen Plan B?
Nein. Ich werde in meinem Wahlkreis direkt gewählt – oder nicht. Aber nicht nur für mich wird es spannend: In sehr vielen Wahlkreisen ist ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen den CDU- und den AfD-Kandidaten zu erwarten. Dabei habe ich wohl einen der interessantesten Wahlkreise in Sachsen, da auch der SPD-Vorsitzende Martin Dulig dort antritt.

Können Sie die Menschen verstehen, die sich von der CDU abgewendet haben?
Die CDU muss eine Partei der Mitte und der demokratischen Rechten sein. Wenn die Union das nicht mehr will – oder nicht mehr kann –, dann entsteht rechts von ihr eine Lücke. In diese Lücke ist aktuell die AfD gestoßen. Früher, unter Kurt Biedenkopf, lag das bürgerlich-konservative Lager bei etwa 60 Prozent. Das ist heute nicht anders, nur dass es jetzt mehr Parteien gibt, die sich das Potenzial teilen. Die CDU hat ihre unangefochtene Vormachtstellung verloren – und das nicht ganz schuldlos.

Sie sind nicht irgendwer in der sächsischen CDU – wie haben Sie diesen Prozess verfolgt?
Die sächsische Union hat für einen schuldenfreien Haushalt vor einigen Jahren massiv gespart: Das betraf die Polizei, die Verwaltungen und auch den Lehrernachwuchs. Diese Fehler sind zwar korrigiert worden, die Wirkung wird sich aber nicht so schnell zeigen. Und auch inhaltlich hat die CDU Deutschlands unnötigerweise eine Flanke geöffnet: Themen wie Heimat, Patriotismus und Leitkultur wurden vernachlässigt. In Sachsen haben wir immer versucht, diese Positionen so breit wie möglich abzudecken. Doch die CDU hat als Volkspartei in Deutschland in dieser Beziehung eine Lücke geöffnet.

Hadern Sie mit Ihrer Partei?
Nicht mit der sächsischen Union. Die großen Fehlentwicklungen sind – bis auf wenige Ausnahmen – bei der Bundes-CDU zu finden. Die Strategie der letzten Jahre, sich auf die eher linke Mitte zu konzentrieren, rächt sich. Die Positionen der sächsischen CDU zum Patriotismus, zum starken Staat und zur deutschen Leitkultur, an denen ich maßgeblich mitgewirkt habe, werden von vielen Menschen geteilt, aber sie wählen uns nicht mehr so selbstverständlich wie früher.

Wenn Sie auf die nächsten Wochen schauen: Ist in der kurzen Zeit bis zur Landtagswahl überhaupt noch Boden gut zu machen?
Die Zeit bis zur Wahl ist kurz, sehr kurz. Der Landeshaushalt steht und ist so voll gepackt wie noch nie. Da ist vieles in Bewegung gekommen. Aber ich glaube nicht, dass man da kurzfristig noch viel nachlegen kann. Ehrlicherweise muss man auch sagen: In den nächsten Jahren wird es aufgrund des nachlassenden Wirtschaftswachstums nichts mehr draufzulegen geben. Das ist unabhängig vom Wahlkampf die schlichte Realität. Und Politik beginnt stets mit einem Blick auf die Realität.

Heißt das auch, Ihre Partei hat diesen Realismus vergessen – und unterschätzt, dass im Lande etwas gärt und wächst?
Es sind die großen Themen gewesen, die zu dieser Proteststimmung geführt haben und weniger die Haushaltspolitik im Freistaat. Der Herbst 2015 war der Knackpunkt: Ein mit dem Flüchtlingsstrom überfordert wirkender Staat hat das Grundvertrauen der Menschen nachhaltig erschüttert. Hinzu kam die Euro-Rettungspolitik: Durch die Nullzinspolitik sehen gerade die Menschen im Osten ihre angesparte Lebensleistung in Gefahr.

Unterm Strich bedeutet das: Die CDU hat die AfD stark gemacht?
Wenn man als Volkspartei eine politische Lücke bietet, muss man sich nicht wundern, dass andere Parteien die Positionen besetzen. Die Vertrauenskrise und der fehlende Glaube an einen starken Staat haben ihr übriges getan.

Nach dem Einzug der AfD in den Landtag vor fünf Jahren hieß es immer wieder, die AfD solle gestellt und entzaubert werden. Wie sehen Sie die Auseinandersetzung aus der Perspektive des Landtagspräsidenten?
Als Landtagspräsident kann und möchte ich die Arbeit einzelner Fraktionen nicht bewerten. Rein statistisch ist festzuhalten: Zu Zeiten, in denen die NPD im Landtag saß, hatten wir sehr viel mehr Ordnungsrufe im Vergleich zur aktuellen Wahlperiode. Wir haben also eine andere Situation als damals. Die parlamentarischen Gepflogenheiten werden eingehalten. Das Hauptthema ist und bleibt aber die inhaltliche Auseinandersetzung.

Sollte diese inhaltliche Auseinandersetzung nicht schon längst erfolgt sein?
Es ist immer schwierig, sich mit jemanden auseinanderzusetzen, der fast nur kritisiert und sich gern auf eine Anti-Haltung zurückzieht. Zur Wahrheit gehört aber auch das Schicksal der Opposition im Allgemeinen: Anträge der Linken haben genauso wenig Erfolgsaussichten im Landtag wie von der AfD, weil die Mehrheiten dem entgegenstehen. Anders ist das übrigens in den Kreistagen: Alle Landräte – und übrigens auch viele Bürgermeister – müssen vor Ort Mehrheiten für eine vernünftige Sachpolitik suchen.

Sachsen wird nach dem 1. September 2019 sehr wahrscheinlich vor einer schwierigen Regierungsbildung stehen. Wird dann überhaupt ein Weg an einer starken AfD, wie es die Umfragen nahelegen, vorbeiführen?
Der Ministerpräsident und CDU-Spitzenkandidat hat eindeutig eine Koalition mit den beiden politischen Rändern – mit der Linkspartei und der AfD – ausgeschlossen. Deshalb wird man anderweitig Mehrheiten suchen müssen. Fest steht, dass es ohne die CDU im Freistaat keine Regierungsmehrheit geben wird.

Das könnte zu einer Quadratur des Kreises werden.
Ich wünsche mir Stabilität für Sachsen – am besten in einer Koalition mit einer starken CDU und der FDP oder der SPD. Nur wenn man am Ende wirklich keine Mehrheit hinbekommt, kann man über die Variante einer Minderheitsregierung nachdenken, wie sie in anderen europäischen Ländern üblich ist. In diesem Sinn erleben wir gerade eine Europäisierung des deutschen Parteiensystems: Die Dominanz der Volksparteien ist wohl vorbei und der Populismus macht sich breit.

Von Andreas Debski